Leistungsdiagnostik im Fußball -Teil 1: Sinnvoll oder nicht?

von Jürgen Pranger


Gepostet am 15.1.2021


Cheftrainer und Athletiktrainer sind bemüht, die Gesundheit, die körperliche Leistungsfähigkeit und die fußballerische Gesamtleistung ihrer Spieler am Feld zu optimieren. Leistungstests sind Teil der Toolbox, die Trainer benutzen, um einen besseren Überblick über den derzeitigen Stand der Spieler im Team zu bekommen.


Die Erhebung des IST-Zustandes ist unerlässlich, um eine angemessene Trainingsplanung durchführen zu können. Leistungstests sollten für mehr als nur zur Evaluation genutzt werden. Sie können als Schlüsselindikatoren für die Wirksamkeit der Trainingssteuerung, Kaderplanung, Talententwicklung oder für individualisierte Trainingsprogramme verwendet werden. Deswegen sollte auf allen Leistungsstufen und vor allem auch im Nachwuchsbereich eine Leistungsdiagnostik durchgeführt werden.


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Im Fußball haben wir jedoch das Problem, dass die Leistung nicht, wie zum Beispiel bei einem 100m-Sprinter, direkt gemessen werden kann. Bei einem Sprinter kann die Zeit genau festgestellt und somit bestimmt werden, auf welchem Leistungsniveau er sich befindet. Im Fußball ist das nicht so einfach. Aufgrund der Komplexität der Sportart, kann die Gesamtleistung leider nicht gemessen werden. Es können lediglich die Zubringerwerte, die die fußballerische Gesamtleistung beeinflussen, diagnostiziert werden.

Seit einigen Jahren wird schon versucht, DEN einen Indikator/ Index zu finden, der die Leistung eines Spielers am Feld widerspiegelt. Bis heute hat es noch niemand geschafft. Zu viele leistungsrelevante Parameter haben einen Einfluss auf die Gesamtleistung. Deswegen müssen auch mehrere Zubringerwerte erhoben und analysiert werden, um ein einigermaßen gutes Bild eines Athleten zu bekommen. Auch wenn 100 verschiedene Tests mit einem Spieler durchgeführt werden, kann die genaue Spielleistung nicht festgestellt werden. Es handelt sich immer nur um ein grobes Bild des Athleten und dessen Stärken und Schwächen der Zubringerwerte.


„Eine Leistungsdiagnostik im Fußball ist wie ein Bikini bei Frauen. Man kann zwar sehr viel erkennen, das Wesentliche bleibt jedoch verdeckt.“ -Unbekannt



Dieses Zitat von einer leider mir unbekannten Person spiegelt die Situation im Mannschaftssport relativ gut wider. Eine Leistungsdiagnostik zeigt zwar viele Dinge, sie kann aber nicht alles darstellen.

Kritiker könnten jetzt meinen, dass aus diesem Grund eine Leistungsdiagnostik im Fußball sowieso sinnlos ist und eine subjektive Bewertung der Spielleistung durch den Trainer vollkommen ausreicht. Ich bin hier anderer Meinung. Ein erfahrener Trainer kann aufgrund seiner Beobachtungsfähigkeit und seinem Urteilsvermögen die Leistungsfähigkeit einzelner Spieler und der kompletten Mannschaft zwar relativ gut einschätzen, eine subjektive Beobachtung hat jedoch immer eine pädagogisch-psychologische Komponente. Dadurch kann eine subjektive Bewertung durch psychologische Phänomene, wie der Hallo-Effekt oder der Self-fullfilling Prophecy von der objektiven Bewertung deutlich abweichen. (Vargas, 2008; Bisanz, 2013, S. 82; )

Als Hallo-Effekt bezeichnet man die Voreingenommenheit eines Menschen durch negative oder positive Vorurteile.
(Bisanz, 2013, S. 82)

Bei der Self-fullfilling Prophecy verläuft die suggestive Wirkung im Sinne einer Entwicklungsprognose, die, als Vorurteil fixiert, zwangsläufig für ihre Bestätigung sorgt. (Bisanz, 2013, S. 82)


Mindestkriterien und Exzellenzkriterien


Um die leistungsrelevanten Zubringerwerte messen zu können, solltest du als Verantwortlicher das Anforderungsprofil von Fußballspielern kennen. Sonst macht eine Diagnostik wenig Sinn.


Hier geht es zum Beitrag „Das atheltische Anforderungsprofil von Fußballspielern“


Außerdem muss berücksichtigt werden, dass es im Fußball Mindestkriterien und Exzellenzkriterien gibt. Die Spieler benötigen in bestimmten Bereichen eine Mindestleistung (Mindestkriterium), um auf einem bestimmten Leistungsniveau spielen zu können. Normalerweise steigen diese Mindestanforderungen mit der Spielklasse an.

Zum Beispiel kann ein Spieler nicht für 90 Minuten eingesetzt werden, wenn dieser nicht in der Lage ist, 10 Kilometer zu laufen. Das bedeutet aber nicht, dass seine fußballerische Leistung immer besser wird, wenn er mehr und mehr laufen kann. Es ist somit kein Exzellenzkriterium.

Mindestkriterium= Der Spieler muss eine gewisse Mindestleistung erbringen, um auf einem bestimmten Leistungsniveau spielen zu können.

Exzellenzkriterium= Je besser die Fähigkeit, desto besser der Spieler

Ein Profispieler in der ersten Liga sollte zum Beispiel eine gewisse maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit haben, um auf diesem Niveau spielen zu können. Es bringt aber wenig oder nichts, ist zum Teil sogar hinderlich, wenn ein Spieler eine extrem hohe VO2max hat. Die Spieler sollen ja auch Fußball spielen und keinen Marathon laufen. Ein gewisses Niveau ist deswegen vollkommen ausreichend.

Fähigkeiten wie zum Beispiel die Passqualität, die Handlungsschnelligkeit oder der Torabschluss sind hingegen Exzellenzkriterien. Hiervon kann ein Spieler nicht genug haben. Je besser diese Fähigkeiten ausgeprägt sind, desto besser der Spieler (Bessere Fußballaktion= besserer Spieler). Das Problem dabei ist, dass diese Kriterien auch viel schwerer bzw. nicht zu testen sind. Denn ein "Pass-Test" oder "Torschuss-Test" in einer vorgefertigten Testumgebung, kann niemals genau feststellen, welche Qualität der Spieler wirklich hat (Qualität der Fußballaktion). Denn ein Pass oder Torschuss ist lediglich die technische Ausführung, ohne die Kommunikation und Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.


Lies auch: "Football Periodisierung – Teil 2: Grundüberlegungen für die Trainingsplanung"



Die Gütekriterien

Eine Leistungsdiagnostik muss, um aussagekräftig und nützlich zu sein, bestimmte Anforderungen erfüllen. Diese Anforderungen ergeben die sogenannten Gütekriterien. Diese werden unterteilt in Haupt- und Nebengütekriterien. Die Hauptgütekriterien setzen sich zusammen aus der Objektivität, Reliabilität und der Validität. Zu den Nebengütekriterien wissenschaftlicher Erhebungsmethoden zählen die Normierung, Ökonomie und die Nützlichkeit.

Objektivität: Der Test muss objektiv sein. Das bedeutet, egal wer die Testung durchführt, es muss immer das gleiche Ergebnis dabei rauskommen.

Reliabilität: „Unter der Reliabilität oder der Zuverlässigkeit eines Tests versteht man den Grad der Genauigkeit, mit dem er ein bestimmtes Persönlichkeits- oder Verhaltensmerkmal misst, gleichgültig, ob er dieses Merkmal auch zu messen beansprucht“ (Lienert & Raatz, 1998, S. 9).

Validität: „Die Validität oder Gültigkeit eines Tests gibt den Grad der Genauigkeit an, mit dem dieser Test dasjenige Persönlichkeitsmerkmal oder diejenige Verhaltensweise, das (die) er messen oder vorhersagen soll, tatsächlich misst oder vorhersagt“ (Lienert & Raatz, 1998, S. 10).

Normierung: Es sollte möglich sein, die erhobenen Testergebnisse in ein Vergleichssystem einordnen zu können. (Vergleichswerte)

Ökonomie: Der Test sollte grundsätzlich nicht aufwändig durchzuführen sein. Je einfacher, schneller und billiger die Leistungsdiagnostik, desto besser (hängt meistens vom Budget des Vereins ab).

Nützlichkeit: Die durchgeführte Leistungsdiagnostik sollte für den Trainer, die Mannschaft und/oder dem Verein einen gewissen Nutzen mitbringen.

Die Frage des Kosten-Nutzen-Verhältnisses ist eine sehr wichtige. Extrem aufwändige und kostspielige Testverfahren sind aufgrund des geringen Mehrwertes bei gleichzeitig hohen Kosten meist nicht notwendig und sollten nur von Vereinen mit dem entsprechendem Budget durchgeführt werden. Es gibt viele preiswerte oder sogar kostenlose Tests, die sehr aussagekräftig und für die meisten Fußballmannschaften vollkommen ausreichend sind.

Fußballspezifische vs. Allgemeine Leistungstests

Wie spezifisch sollte eine Testbatterie sein? Welche Tests sind aussagekräftiger?

Das Ziel muss es sein, die fußballrelevanten Zubringerwerte so genau wie möglich herauszufinden. Viele Trainer wollen deswegen, dass der Test so fußballnahe wie möglich ist. Grundsätzlich auch richtig – oftmals passiert hier aber leider ein entscheidender Fehler. Man kann nicht fußballspezifisch testen! Durch den speziellen Umbau eines Tests und/oder durch die Vielzahl der zu testenden Fähigkeiten in ein- und demselben Test, können die Gütekriterien nicht mehr eingehalten werden und der Test sieht zwar super aus, ist aber nutzlos.

Ein Test, in dem der Spieler zum Beispiel auf dem Fußballfeld mit Ball einen Hindernisparcours mit verschiedenen Lauf-, Pass-, und Torschussaufgaben absolvieren muss, wird zwar von vielen als "fußballspezifischer" wahrgenommen, doch welche Fähigkeit wird dabei getestet? Alles und gleichzeitig nichts. Am Ende des Tests kann der Testleiter nicht beurteilen, welche Fähigkeit gut oder schlecht ausgeprägt ist. Er kann lediglich beurteilen, ob der Spieler den Test gut oder schlecht absolviert hat. Trainingssteuerungsrelevant ist das jedoch nicht.

Außerdem kann der Test durch äußere Einflüsse am Feld verfälscht werden. Kleine Veränderungen der umliegenden Faktoren (Temperatur, Rasen etc.) können auf das Testergebnis einen großen Einfluss haben. (Mayer, 2006)

Ja, der Fußball ist eine sehr komplexe Sportart und sollte auch komplex trainiert werden. Wir können, wie schon erwähnt, aber leider nicht komplex testen, um die fußballerische Leistung eines Spielers am Feld genau zu diagnostizieren. In diesem Fall macht es aus meiner Sicht mehr Sinn, die einzelnen Fähigkeiten im Anforderungsprofil eines Fußballspielers herauszunehmen und zumindest die Mindestkriterien zu testen. Erfüllt der Spieler nicht das gewünschte Mindestmaß für eine bestimmte Fähigkeit für ein bestimmtes Leistungsniveau, weiß der Trainer genau, wo er ansetzten kann.

Weißt du zum Beispiel, dass ein Spieler in der ersten Liga eine maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit von X haben sollte, dann kannst du auch einen allgemeinen Leistungstest wählen, um herauszufinden, ob der Spieler dieses Kriterium erfüllt. Erfüllt der Spieler dieses Kriterium, bedeutet es jedoch noch lange nicht, dass der Spieler eine ausreichende Fußball-Fitness besitzt.

Die Fähigkeiten:

  • Bessere (Fußball)-Aktionen
  • Mehr Aktionen pro Minute
  • Aufrechterhaltung guter Aktionen über das ganze Spiel
  • Aufrechterhaltung guter Aktionen pro Minute

...können leider nicht objektiv getestet werden. Ein erfahrener Trainer kann lediglich durch die Beobachtung des Spiels Aussagen über diese Fähigkeiten treffen. Eine weitere Möglichkeit wäre die Messung und Beurteilung "Interner und Externer Belastungsdaten" während eines Spiels. Mehr dazu aber in einem anderen Blogbeitrag...

Fazit

Mache eine Leistungsdiagnostik und nutze die Daten nicht nur zur Evaluierung, sondern auch zur Trainingssteuerung, Entwicklungsbeurteilung, Talentförderung und zur Individualisierung.

  • Eine Leistungsdiagnostik kann für jede Mannschaft einen Mehrwert bieten – vorausgesetzt, sie wird planvoll und sauber durchgeführt.
  • Eine Leistungsdiagnostik muss als Ausgangspunkt das Anforderungsprofil der Spieler nehmen.
  • Die fußballspezifische Gesamtleistung kann nicht diagnostiziert werden - lediglich einzelne Zubringerwerte.
  • Unterscheide zwischen Mindestkriterien und Exzellenzkriterien!
  • Überlege dir, was du genau messen willst. "Fußballspezifisch" ja – beachte dabei aber trotzdem die Gütekriterien!




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Doch welche Tests sollten demnach durchgeführt werden?

Die Antwort findest du im Teil 2: Leistungsdiagnostik im Fußball -Teil 2: Welche Tests sollten durchgeführt werden?

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Quellen

Bisanz G., Gunnar G. (2013). Fußball : Kondition – Technik – Taktik – Coaching. Meyer & Meyer, Aachen

Lienert G., Raatz U. (1998). Testaufbau und Testanalyse. PsychologieVerlagsUnion

Mayer T., Faude O. (2006). Feldtests im Fußball. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 57 (5)

Vargas C. (2008). Bewertung der menschlichen Leistung im Mannschaftssport.